„Tatort“-Wiederholung am Sonntag: „Zerrissen“ aus Stuttgart hat das Herz am rechten Fleck
Die „Tatort“-Sommerpause geht in die zweite Hälfte: Diese Woche ist der 2024er Fall „Zerrissen“ aus Stuttgart dran. Und trotz einiger Schwächen wird hier vieles richtig gemacht …

Nach dem dieswöchigen Gastspiel in Stuttgart werden nur noch drei Wiederholungen gezeigt. Welche Qualität diese aufweisen, werden wir in den nächsten Wochen herausfinden. Doch bis dahin kann man sich erstmal mit „Zerrissen“ zufriedengeben, der ein passabler Zeitvertreib für alle ist, die sehnsüchtig auf neue Fälle warten.
Worum geht es im Stuttgarter "Tatort"-Fall „Zerrissen“?
Der dreizehnjährige David (Louis Guillaume) und seine beiden Cousins Mikel (Oleg Tikhomirov) und Alan (Nils Hohenhövel) rauben einen Juwelier aus. Dabei kommt eine der Kundinnen ums Leben und nun gilt es an Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) herauszufinden, wer hinter dem Raubmord steckt. Da ihr Verdacht ohnehin in die Richtung Davids führt, müssen sich die Ermittler mit dem in einer Jugendhilfe-Einrichtung wohnenden Teenager guttun und lernen dabei sehr viel über seine verkorkste „Sippe“ und seine Schwärmereien für die junge Sozialarbeiterin Aro (Caroline Cousin).
Einmal wieder jung sein
Einmal wieder 13 sein: Zum ersten Mal für jemanden schwärmen, mit der Angebeteten Motorradfahren und von seinen Cousins gezwungen werden, einen Drogendealer zu erschießen… okay, auf den letzten Punkt haben hoffentlich wohl die meisten in ihrer Jugend verzichtet, aber abgesehen davon, macht dieser „Tatort“ etwas, woran die meisten „Tatorte“ scheitern: ein gut geschriebener junger Charakter. Louis Guillaume spielt einen wirklich authentischen 13-jährigen Jungen, der nicht vollends weiß, wohin er eigentlich gehört und für wen sein Herz eigentlich schlägt.
Ähnliches Lob habe ich für Caroline Cousin, die „Aro“ spielt – eine junge Sozialarbeiterin, für die David schwärmt. Immer dann, wenn die beiden allein und/oder gemeinsam auf den Plan treten, war ich unterhalten und habe mir nichts sehnsüchtiger gewünscht, dass die pubertären und spätpubertären Aspirationen beider wahr werden können und endlich zur Ruhe kommen dürfen.
Wo Licht ist, ist auch Schatten
Der Rest der jungen Brigade verdient das Lob nicht unbedingt. Die Schauspieler und Schauspielerinnen versuchen, das Beste aus ihren Figuren herauszuholen, aber Mikel, Alan und Julia (Caroline Heilwig) sind zu platt und zu edgy geschrieben. Es gibt sicherlich auch Menschen, die sich so darüber wie dieses Trauer-Trio verhalten, aber scheinbar treffen nur „Tatort“-Autoren auf einen solchen Typus-Mensch, denn mir sind solche Edge-Lords noch nie untergekommen.
Tatort Stuttgart: Ohne Bootz viel los
Gleichermaßen hat dieser „Tatort“ eine weitere narrative Schwäche, die je nach Perspektive, aber auch eine Stärke sein kann: Meiner Meinung sind die besten „Tatort“-Fälle die, in der das Ermittler-Duo Blah und Blah nur eine Randnotiz sind. Und genauso wie in der grandiosen Wiederholung „Weil sie böse sind“ gilt das auch für „Zerrissen“. Bootz und Lannert haben kaum etwas zu tun, aber das ist nicht großartig schlimm, denn so wird weniger Zeit darauf verschwendet, von den eigentlichen Stars, in diesem Falle David und Aro, abzulenken.
Die mangelnde narrative Tragweite von Lannert und Bootz bedeutet aber nicht, dass die in ihren wenigen Momenten nicht trotzdem strahlen dürfen. Wenn David Lannert fragt, ob alle „Bullen“ nun Oldtimer fahren würden, antwortet dieser trocken: „Nein, nur ich.“ Das fängt schon fast den Charme und das Charisma eines Peter Fabers aus Dortmund ein – nur mit dem Unterschied, dass „Zerrissen“ kein Interesse daran hat, einem Lannert oder gar Bootz menschlich näherzubringen. Ganz nach dem Motto: Lieber keine Charakterzeichnung als unnötige Charakterzeichnung.
Und Bootz gelingt es sogar in seiner kaum vorhandenen Bildschirmpräsenz den Dortmunder-Tatort auszustechen – was aber kaum eine Herausforderung ist. Denn es gibt eine Verfolgungsjagd und abgesehen davon, dass diese länger dauert als in den meisten anderen „Tatort“-Fällen, beginnt diese mit einem Witz und hört mit einem Witz auf – fast so, als hätte man tatsächlich mehr als nur ein paar Sekunden über die Szene nachgedacht.
„Zerrissen“ zwischen Drogendealern und Scenestealern
Wenn man sich darauf einlässt, dann ist „Zerrissen“ über lange Strecken spaßig. Klar, dem Ende fehlt die notwendige Schlagkraft, auch wenn ich die Vision verstehe, aber allein für die bitterböse Szene, die sich mit Strafmündigkeit und Schusswaffen auseinandersetzt, lohnt sich die „Tatort“–Wiederholung.
Es ist schön, wenn man sieht, dass jemand eine Vision hatte und diese weitestgehend ausführen dürfte. Von verstorbenen Brüdern, die dem Wort Engel einen neuen Angle geben, bis hin zu der Tatsache, dass der Fall seinem Titel gerecht wird – ein Umstand, der nicht häufig auftritt, … man denke nur an Wien.
Ungleich David bin ich weniger „zerrissen“, denn ich kann, trotz einiger Probleme, eine klare Empfehlung für die „Tatort“-Wiederholung aus Stuttgart aussprechen. Wer Lust hat, einen „Tatort“ zu sehen, der immerhin interessante Ideen in den Raum wirft, sollte definitiv einschalten – denn besser als nichts, ist immer noch besser als das, was man normalerweise beim „Tatort“ bekommt.