„Tatort“ heute: Lohnt sich der neue Wiener-Fall „Wir sind nicht zu fassen?“
Es ist wieder Sonntag und das bedeutet in vielen deutschen Haushalten „Tatort“-Zeit. Doch was taugt der heutige Fall aus Deutschlands Nachbarland?

Knapp 400 Kilometer entfernt vom südlichsten deutschen „Tatort“-Ermittler-Duo Batic und Leitmayr aus München findet man die Wiener Kriminalbeamten Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser), die diese Woche das Ruder des beliebtesten deutschen TV-Krimis übernehmen. Der Fall dieser Woche, namentlich „Wir sind nicht zu fassen“, versucht, von libertären Querdenkern zu erzählen. Doch geht dieses Konzept auf oder überhebt man sich mit der „Gesellschaftskritik“?
„Wir sind nicht zu fassen“: Worum geht es im neuen Tatort?
Die Demo ist vorbei und das Einzige, was zurückbleibt, ist die Leiche eines jungen Mannes. Wie immer, wenn es in Wien interessant wird, liegt es an Eisner und Fellner (plus Ermittlerin Schande, gespielt von Christina Scherrer) herauszufinden, warum ein junger Mann tot auf den Straßen des Regierungsviertels liegt. Dafür müssen sie tief (inhaltlich aber eher nur oberflächlich) in die Reihen einer militanten, sowie rechtsextremen Untergrundgruppe, betitelt als KAPO, vordringen.
Für all jene, die diese Beschreibung als uninspiriert und ermüdend empfanden, habe ich eine schlechte Nachricht: Der 36. Wiener Tatort ist noch uninspirierter und langweiliger.
Wiener Tatort: Woran scheitert der neueste Fall von Eisner und Fellner?
Prinzipiell ist die Idee, sich mit einer anderen Art von „Querdenkern“ auseinanderzusetzen, mehr als erfrischend. Statt hier wieder auf die Corona-Pandemie zu gehen, sind die Querdenkenden hier Rechtsradikale, die ein starkes Problem mit dem demokratischen Staatssystem haben. Ein nobler Gedanke, wenn die Ideologie nicht für jeden Menschen unter 60 ekelhaft anmuten würde. Nahezu jede Person, die hier moralisch fragwürdig ist oder schlimme Dinge tut, ist „jung“ oder auf jeden Fall unter Mitte 30 – entweder durch Optik impliziert oder durchs Drehbuch hergeleitet.
Da wäre eine junge Tierärztin, die etwas zu locker mit sedativen Mitteln für Pferde umgeht, die jungen Kollegen und Kolleginnen im Revier sind die schwarzen Schafe oder vernachlässigen für den Job ihre Kinder und die schlimmsten jungen Menschen fahren mit Autos durch Barrikaden und werfen Molotow-Cocktails auf nichts-ahnende Polizistinnen. Ihnen entgegen stehen die Repräsentationsfiguren des ARD-Publikums, also Personen, die mehr als ein graues Haar haben – und tun die Dinge, die sie immer tun: Sie haben Respekt vor LGTBQ-Anhängern und gendern fleißig – fast sowie im echten Leben …oder?
Das mag jetzt alles etwas arg über den Kamm geschoren wirken, aber diese plumpe (und teils verdrehte) Wahrnehmung ist keine Interpretationssache, sondern (scheinbar?) bewusst gewählt. In einer der letzten Einstellungen schaut der Neffe des Toten vom Anfang in die Kamera, damit auch der letzte Zuschauer versteht, dass in Wien junge Menschen von jungen Menschen radikalisiert werden, während die alten Semester darum bemüht sind, alles beisammen zuhalten – gelebte Realität.
„Wir sind nicht zu fassen?“ lobt die Alten – hat aber viele Kinderkrankheiten
Neben einer verdrehten Realität in der heilen Welt des Tatorts gibt es viele der üblichen Kinderkrankheiten: Das Schauspiel variiert von laienhaft (Julia Windischbauer) bis tauglich (Christina Scherrer) – manchmal sogar gut (Adele Neuhauser). Das absolute Highlight ist aber Günter Franzmeier als Mitarbeiter in der Obduktion, der seine Rolle so spielt, als würde er versuchen, an Nicolas Cage in „Vampires Kiss“ (1988) zu erinnern – was er tut (im besten und schlechtesten Sinne).
Die absolute Ernsthaftigkeit, mit der die Geschichte rund um diese Querdenkerbewegung, angeführt von einem ehemaligen Fremdenlegionär, heruntergespielt wird, ist beneidenswert. Hier wird die Demo der „KAPO“ im Regierungsviertel mit dem Sturm auf das Capitol verglichen und es gibt Pläne, dass binnen zweier Tage der ganze österreichische Staat fallen soll. Da aber leider niemand diesen Druck spielen kann, gibt es hier eine lethargisch anmutende One-Liner-Parade („Wenn du aus der Pubertät rauskommst, dann gehe ich in Pension – also nie“). Und damit auch die letzte Person versteht, dass die Situation ernst ist, wird um die Wette gebrüllt.
Man hätte die Chance gehabt, von korrupten Polizisten oder Ähnlichem zu erzählen, aber wenn man durch Steuergelder finanziert wird, tut man sich wahrscheinlich besser damit, nichts zu kritisieren, was ebenfalls durch Steuergelder finanziert wird. Polizeigewalt oder das Ausnutzen von Machtpositionen zu thematisieren, wäre ja fast so utopisch wie die schöne neue Weltordnung, die die KAPO und ihr Fremdenlegion-Anführer wollen. Apropos Fremdenlegionär: Es war eine positive Überraschung, dass dieser zwielichtige Charakter über 60 Jahre alt war – bei diesem ideologisch fehlgeleiteten Drehbuch hätte man auch erwarten können, dass der Antagonist nicht älter als 15 ist.
„Wir sind nicht zu fassen“: Was macht der Wiener-Tatort gut?
Es ist zwar nicht sonderlich innovativ, aber es fällt positiv auf, dass die Geschichte teilweise non-linear erzählt wird. Es gibt immer wieder Rückblicke auf das Leben des Täters, statt den Zuschauer mit einfacher Exposition zu langweilen. Klar, beruft man sich dabei auf Zeitangaben wie „3 Monate vorher“ (oder so), aber es ist immer noch besser, zu versuchen, alle in dieses Experiment einzubinden, statt es vollends zu lassen.
Darüber hinaus gibt es ein paar interessante Perspektiven: Es gibt immer Einstellungen, die unsere Ermittler aus der Ferne filmen und dabei versteckt sich die Kamera auf Dächern oder hinter Zäunen. Das ist ein Trick, den schon John Carpenter in „Halloween“ (1978) verwendet hat, um den Zuschauenden klarzumachen, dass jemand Laurie und ihre Freundinnen kontinuierlich beobachtet. Ob das wirklich intentional war, ist nicht ganz klar – zumal nur zwei solcher Shots auftauchen, aber man wil dem Wiener-Tatort einfach den „benefit of the doubt“ geben.
Und zuletzt: Wie schon vorher angemerkt, ist die Idee, eine rechte Querdenkerorganisation zu erkunden, thematisch nicht uninteressant und aktuell.
Fazit: „Wir sind nicht zu fassen“ aus Wien
Wer unreflektiert ist oder unreflektiert an diesen „Tatort“ rangeht, wird wahrscheinlich einen sehr durchschnittlichen Thriller sehen, der die Dinge manchmal etwas arg falsch darstellt.
Persönlich fände ich es schön, ein „Tatort“-Ermittlerduo zu sehen, das nicht so alt ist, dass man die Bandscheiben knarzen hört. Maximilian Brückner war 2007 mit 27 Jahren der jüngste Ermittler in der Geschichte des „Tatorts“. Vielleicht kann man ja mal einen „Tatort“ produzieren, der von Personen unter 40 oder gar 30 geschrieben, inszeniert, gespielt und geschnitten wurde. Wenn das Experiment schiefgehen sollte, muss man sich doch ohnehin keine großen Gedanken machen – der „Tatort“ wird auch noch die nächsten zwanzig Jahre weiter im TV laufen.
Sollte man zu große Angst haben, dass zwei junge Ermittler oder Ermittlerinnen den Brei verderben, kann man sich immer noch des Klischees des alten Mentors und der jungen „loose cannon“ bedienen – der „Tatort“ liebt seine Klischees doch ohnehin. Und ich weiß, dass es „FUNK“ für eher jüngere Inhalte gibt, aber um es mit einer Floskel zu sagen, die auch im „Tatort“ gesagt werden könnte: „Probieren geht über Studieren.“ Für einen mutigen, jungen „Tatort“ hat man sicher so viel Courage bewiesen, dass man, obgleich der Qualität, den deutschen Fernsehpreis gewinnt. Aber bis dahin lässt sich über „Wir sind nicht zu fassen“ nur folgendes sagen: Große Ambitionen, aber arg verhoben.