„28 Years Later“-Kritik: Danny Boyle haucht den Zombies neues Leben ein
Nicht ganz 28 Jahre, aber immerhin schon 23 Jahre ist es her, dass „28 Days Later“ über die Kinoleinwände flimmerte und das damalig nahezu totgeglaubte Zombie-Genre revitalisierte. Bis heute gilt Danny Boyles Horrorfilm als Klassiker des Genres und wirft einen großen Schatten: Gelingt es der späten Fortsetzung „28 Years Later“ aus diesem Schatten hinauszutreten?

Danny „boilt“ nicht nur, er kocht sogar. Nicht vor Wut, aber definitiv vor kreativer Schaffenskraft. War sein letzter Kinorelease „Yesterday“ (2019) ein gigantisches Chaos auf allen Ebenen, kehrt der mittlerweile 68-jährige Brite zurück und möchte der Welt mit der späten Fortsetzung eines seiner ersten Filme nochmal zeigen, wo der Hammer hängt. Wir finden: Er hat den Hammer nicht nur gefunden, sondern mehrfach auf die schönste Art und Weise blutig zugeschlagen …
„28 Years Later“: Darum geht's im neuen Zombie-Horror
Wir befinden uns in der nicht allzu fernen Zukunft: 2030. Der sogenannte „Rage-Virus“ tobt immer noch auf dem englischen Festland und das komplette ehemalige Vereinigte Königreich wurde unter Quarantäne gestellt. Auf einer kleinen Insel nicht weit von der englischen Küste lebt eine kleine Gemeinschaft, die sich selbst versorgen und ein einigermaßen geregeltes Leben führen. Auch der junge Spike (Alfie Williams) und sein Vater Jamie (Aaron Taylor-Johnson) sowie die kranke Mutter Isla (Jodie Comer) sind Teil der Gruppe. Als Training zieht Jamie mit Spike los, um ihm zu veranschaulichen, wie das Leben auf dem Festland aussieht. Auf ihrer Reise durch die Wildnis sichtet Spike ein Feuer und findet später heraus, dass ein gewisser Dr. Ian Kelson (Ralph Fiennes) dieses gelegt hat. In der Hoffnung, dass Dr. Kelson seiner kranken Mutter helfen kann, trifft Spike eine verhängnisvolle Entscheidung …
Es läuft: Sowohl die Kameras als auch das Blut
Eigentlich habe ich immer großes Vertrauen in Danny Boyle gehabt, denn auf jeden „Trance“ (2013) folgte immer etwas Großartiges wie „Steve Jobs“ (2015). Doch Danny Boyles letztes Machwerk „Yesterday“ war in meinen Augen wirklich eine Katastrophe auf allen Ebenen. Danach wurdees im Kino sehr still um den britischen Regisseur. Aber diese Pause hat sich ausgezahlt, denn „28 Years Later“ ist nicht nur ein guter Film, sondern auch einer der besten Filme des britischen Altmeisters. Und das hängt vor allem damit zusammen, dass Danny Boyle nicht nur mit der Kamera spielt, sondern auch kontinuierlich mit der Erwartungshaltung des Zuschauers.
Als im Rahmen der Produktion von „28 Years Later“ herauskam, dass der Film überwiegend unter Einsatz von iPhone 15 Pro Max gedreht wurde, waren viele Leute skeptisch. Denn, klar, Handykameras können heutzutage problemlos 8K-Aufnahmen machen. Aber damit einen Kinofilm zu drehen, ist eine andere Sache – aber das ist gut so.
Wenn Spike und Jamie mit Pfeil und Bogen auf die Infizierten losgehen, dann wird der Einschlag nicht nur aus einer Perspektive gezeigt. Stattdessen wandert das Bild ruckartig im Kreis und das sieht grandios aus. Das gilt für nahezu jedes Bild in diesem Film. Egal, ob abgemagerte Infizierte, die auf den schönsten Blumenfeldern stehen, Säulen aus Knochen und Schädeln, „Teletubbies“ oder ein Flugzeug, das unkommentiert und unspektakulär über unsere Hauptcharaktere hinwegfliegt und damit symbolisiert, dass die Welt sich trotz der furchtbaren Umstände in England weiterdreht – fast jedes Bild ist wertvoll und voller Symbolismus. Und wo wir gerade bei wertvoll sind …
„28 Years Later“: Vertraue niemandem – nicht einmal dem Trailer
War der erste Trailer von „28 Years Later“ mehr ein Stimmungsstück, das Lust auf mehr machen sollte, ließ der zweite Trailer ein wenig tiefer blicken. Viel bekamen wir auch hier nicht zu sehen, aber trotzdem entstand eine Erwartungshaltung: Eine Erwartungshaltung, wer der Protagonist ist und wer der Antagonist ist – aber man darf den Namen auf den Postern nicht vertrauen, denn ohne zu viel zu verraten zu wollen (allerdings nicht aus dem Grund, von dem die meisten ausgehen werden), ergibt sich erst nach dem ersten Akt, wer diesen Film anführen wird. Auch wer der Antagonist ist, stellt sich erst recht spät heraus und das nicht, weil es einen großen Twist gibt, sondern einfach, weil das Poster eine andere Erwartungshaltung kreiert hat.
Es ist ein bisschen so wie in „Sieben“ (1995). Alles hätte so offensichtlich sein können, wenn ein bestimmter Name auf den Postern gewesen wäre. Aber das ist gut so, denn die Story bedient gelegentlich zwar Genre-üblicher Klischees, aber gleichzeitig muten die nicht so öde an, weil man sich hier mehr traut als sonst. Apropos, „trauen“ ...
Kieferschmerzen vorprogrammiert – und das nicht nur bei den Zombies
„28 Days Later“ war zwar stellenweise spannend, aber eigentlich war es diese anders gedachte Apokalypse, die bei den Zuschauern und Zuschauerinnen Eindruck hinterlassen wird. Ein leeres London, das bleibt hängen! Mit solchen Kulissen kann „28 Years Later“ leider nicht aufwarten, aber dafür gibt es simple Schauplätze, die spannend umgesetzt wurden. Vor allem eine Szene in einem Zug dürfte dem Publikum auf jeden Fall noch lange im Kopf bleiben. Wenn man nach der Sichtung des Films Kieferschmerzen hat, weil man so angespannt war, dann weiß man, dass man, dass Boyle alles erreicht hat, was er sich vorgenommen hatte!
Der Franchise-Infekt: Das größte Problem von „28 Years Later“
Das ist wirklich Meckern auf hohem Niveau, aber es gibt eine Sache, die an „28 Years Later“ stört. Man merkt dem Film leider an, dass noch zwei weitere Filme geplant sind und die Geschichte von diesem ersten Teil einer neuen Trilogie nicht vollends für sich stehen darf. Die Geschichten aller Charaktere (mit Ausnahme eines einzigen) werden eröffnet und nicht wirklich auserzählt, da man ja weiß, dass im nächsten Januar schon „28 Years Later: The Bone Temple“ in den Kinos anlaufen wird. Der Film findet zwar einen schönen Zirkelschluss, aber trotzdem bleibt dieser negative Beigeschmack, dass man nichts Komplettes bekommen hat und jetzt noch ein halbes Jahr auf die Fortsetzung warten muss. Aber wenn das negativste Gefühl in Bezug auf den Film nur darauf keimt, dass man eigentlich gerne mehr Zeit in seiner Welt und mit seinen Figuren verbracht hätte, dann weiß man trotzdem, dass man gerade einen verdammt guten Film gesehen hat.
„28 Years Later“-Fazit: Ein Film mit Ansteckungsgefahr
Danny Boyle kann einfach Fortsetzungen, aber vor allem Fortsetzungen, die noch besser als das Original sind. Das bewies er schon mit „T2 Trainspotting“ (2017) und jetzt noch einmal mit „28 Years Later“. Denn hier haben wir es mit nichts Geringerem als einem Vertreter des Zombie-Genres zu tun, der das mittlerweile festgefahrene und übersättigte Genre neu denkt.
Während „The Walking Dead“ nur Spin-Off nach Spin-Off nach Spin-Off kann und „The Last of Us“ das Publikum zu sehr spaltet, kommt hier eine britische Regie-Legende mit einem renommierten (wenn auch leicht überschätzten) Drehbuchautor (Alex Garland) zusammen und kreiert den wohl wegweisendsten Zombie-Film seit „28 Days Later“.
Vor „28 Years Later“ war ich wirklich skeptisch, ob Danny Boyle nach seinem „Yesterday“-Fiasko nochmal einen guten Film machen kann. Nochmal viel skeptischer war ich, ob man in dem „28 XY“-Franchise wirklich noch Geschichten erzählen kann. Nach „28 Years Later“ habe ich das Licht gesehen, will mehr Geschichten aus dieser Welt und fühle mich schuldig, dass ich Danny Boyle jemals angezweifelt habe. Um es etwas jugendlicher zu sagen: „Danny Boyle hat gekocht und allen schmeckt’s.“