Der Holocaust-Überlebende Roman Haller liebte Wehrmachtsoffizier Rügemer wie seinen Opa
„Irenas Geheimnis“ erzählt eine wahre Geschichte, die in einem Wunder gipfelte: 1944 brachte die Jüdin Ida Haller in einem Bunker im Wald ein Baby zur Welt. Heute ist der Holocaust-Überlebende Roman Haller 81 Jahre alt. Im Interview sprach er über seine ersten Kindheitserinnerungen und seine Liebe zu Major Eduard Rügemer.

Der Film „Irenas Geheimnis“, seit dem 17. April 2025 digital und ab dem 2. Mai auch als Blu-ray erhältlich, erzählt von Mut und Menschlichkeit in einer der dunkelsten Stunden unserer Historie. Die unglaubliche, aber wahre Geschichte der jungen polnischen Zwangsarbeiterin Irena Gut (*5. Mai 1922 - † 17. Mai 2003), die im Zweiten Weltkrieg zwölf jüdische Menschen im Haus ihres Arbeitgebers Eduard Rügemer (* 27. März 1883 - † 2. November 1953) versteckte, beruht auf ihren eigenen Erinnerungen.
Zu den Geretteten gehört auch das Ehepaar Ida und Lazar Haller, die versteckt im Keller des deutschen Majors der Wehrmacht ein Kind zeugten: Roman Haller. Er wurde 1944 in einem Waldversteck geboren – und überlebte wie durch ein Wunder. Anlässlich des Filmstarts hat TVMovie-Redakteurin Anna Peters mit ihm gesprochen.
Roman Haller im Interview: Was nach der Handlung von „Irenas Geheimnis“ passierte
„Ich hoffe, Sie fragen mich jetzt nicht, ob ich mich an meine Geburt erinnere“, scherzt Roman Haller zu Beginn unseres Gesprächs. Aber seine erste Kindheitserinnerung? „Das ist ein laufender Prozess“, sagt er. Vor allem der Vater habe häufig von der Kriegszeit erzählt – die Mutter hingegen nie. „Sie hatte Alpträume, wachte schreiend auf und rief ‚Gestapo!‘ – das war für mich als Kind sehr verstörend.“
Die Geburt in einem Bunker im Wald, die sich nach den im Film skizzierten Geschehnissen ereignete, war ein lebensgefährliches Unterfangen: „Es wurde ernsthaft darüber gesprochen, mich nach der Geburt zu töten, um die anderen nicht zu gefährden. Doch man hörte, dass die Russen nahe seien, und entschied: Entweder sterben alle, wenn wir entdeckt werden – zuerst Irena und der Major – oder wir schaffen es bis zur Befreiung.“ Trotzdem war klar: „Die Geburt durfte nicht kompliziert sein, sonst wären meine Mutter und ich verloren gewesen.“ Ein ukrainischer Förster habe bei der Entbindung assistiert – „Er wusste immerhin, wie Tiergeburten verlaufen“.
Kurz nach der Entbindung trafen die russischen Befreier ein. „Meine Mutter sagte immer, sie werde den ersten Befreier umarmen und küssen – als es dann ein stark schwitzender, unappetitlicher Mann war, hat sie es trotzdem getan“, erinnert sich Haller mit einem Lächeln.

Roman Haller über die besondere Rolle von Major Eduard Rügemer
Im Film erscheint der deutsche Wehrmachtsoffizier Eduard Rügemer, genannt „der Major“, als ambivalente Figur. Doch Haller stellt klar: „Er war kein Nazi. Er war nicht in der SS. Er war für militärische Fahrzeuge zuständig und hat diesen Menschen geholfen.“
Viele Jahre nach dem, was im Film dargestellt wird, fand die Familie den Major in Nürnberg wieder. „Meine Eltern haben ihn nach dem Krieg in Berlin durch das Bayerische Rote Kreuz gefunden und haben ihn nach München kommen lassen.“ Seine eigenen Großeltern waren im Krieg umgekommen, Rügemer füllte in Hallers Leben eine Lücke. „Für mich war er mein Opa. Und ich habe ihn geliebt und war immer todtraurig, wenn er wieder wegmusste.“ 1955 starb der Mann, dem Haller – so betont er immer wieder – so viel zu verdanken hat. Jahre später wurde er posthum von Yad Vashem geehrt.
Emotionales Wiedersehen mit Retterin Irena Gut: „That’s my baby!“
Zu Irena Gut Opdyke, seiner anderen – und im Film wahren – Retterin, konnte Roman Haller keine so private Bindung aufbauen, denn sie lernten sich erst kennen, als er 38 Jahre alt war. Trotzdem war die erste Begegnung im Jahr 1982 emotional. Ein Brief eines Rabbiners hatte sie zusammengebracht: „Ich werde gesucht – von Irena.“ Kurz darauf stand sie in München – ganz „amerikanisch“ mit Kamerateam. „Wir haben uns umarmt, und sie sagte: ‚That’s my baby!‘ Das hat sie oft gesagt.“ Es stimme ja auch, irgendwie sei er ja auch ihr Kind gewesen. „Wenn es sie nicht gegeben hätte, wäre ich mit Sicherheit nicht am Leben.“
Haller beschreibt Irena als starke, entschlossene Frau: „Sicher nicht das naive Mädchen, wie an manchen Stellen im Film. Sie wusste genau, was sie wollte.“ Ihr junges Alter – gerade mal 19 – habe sie wohl nicht daran gehindert, couragiert zu handeln. Ja, vielleicht sei es sogar ein Vorteil gewesen, der ihr trotz des Schreckens erlaubt habe, an das Gute zu glauben.
Haller liebte Major Rügemer wie einen Großvater – und nimmt ihn bis heute in Schutz
Was Haller jedoch missfällt, ist ihre Darstellung von Eduard Rügemer als sexueller Ausbeuter. „Ich habe den Major viel besser in Erinnerung, als er im Film dabei wegkommt.“ Man dürfe nicht vergessen, dass der Film auf Irena Guts Erinnerungen und Schilderungen basiere. „Wenn der Major das Buch geschrieben hätte, hätte er das anders geschrieben“.

Rückblickend ließen sich die Ereignisse nicht exakt rekonstruieren. Er wisse nicht, welche Art von Beziehung der 60-jährige Major und die 19-jährige Irena genau geführt hätten, eine andere Sache stehe für ihn jedoch unumstößlich fest: „Beide waren Helden. Wenn einer von diesen beiden Personen nicht zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort gewesen wäre, wäre ich nicht am Leben.“
Einen Gedanken möchte Haller aber noch äußern, denn auch einer Sache sei er sich sicher: „Den LKW, der meine Eltern und ihre Freunde vom Versteck in der Villa in den Wald brachte, hat nicht Irena besorgt, wie es im Film dargestellt worden ist. Das hat der Major gemacht, er war das!“
Wie es nach dem Inhalt von „Irenas Geheimnis“ für die Familie Haller weiterging
Der beschriebene Moment ist eine der letzten Szenen im Film „Irenas Geheimnis“. Doch Hallers Geschichte beginnt dort erst: Nach dem Krieg lebte die Familie in einem sogenannten DP-Camp in München-Freimann. „Wir wollten eigentlich in die USA, aber das Visum ließ auf sich warten. Mein Vater arbeitete, und wir wohnten am Romanplatz – ich dachte als Kind, der Platz sei nach mir benannt.“
Als das Visum schließlich kam, war die Reiseauflage zu kurzfristig. „Da musste man einen Arzt holen, um zu attestieren, dass ein Familienmitglied nicht reisefähig wäre und der kam. Und meine Eltern haben mir eingebläut, wenn er da drückt, dann musst du Aua schreien. Der Arzt wusste natürlich sofort, was los ist. Das Attest hat er trotzdem ausgestellt.“
Letzten Endes blieb die Familie in München. Roman Haller ging dort zur Schule, studierte, heiratete. Heute lebt seine Tochter in London, sein Sohn in Los Angeles – und haben so den Traum vom Auswandern, den ihre Großeltern einst gehegt hatten, wahr gemacht. „Der Kreis schließt sich“, sagt er.
Ein Leben im Zeichen der Dankbarkeit
Haller, heute 81 Jahre alt, engagierte sich zeitlebens für andere: als Präsident einer Krebshilfe, Direktor der Jewish Claims Conference, Ehrenamtlicher. „Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit voller Liebe. Ich wollte etwas zurückgeben.“
Genau wie Margot Friedländer, eine der bekannten Zeitzeuginnen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die bis zu ihrem Tod am 9. Mai 2025 im Alter von 103 Jahren unermüdlich Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit leistete, möchte Haller seinen Beitrag dazu leisten. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen.

„Die Zukunft braucht Erinnerung“
Er geht regelmäßig an Schulen, erzählt seine Geschichte. „Gerade jungen Menschen möchte ich klarmachen: Die Zukunft braucht Erinnerung. Wenn wir nicht wahrnehmen, was war, können wir nichts besser machen.“
Und was würden seine Eltern über den Film sagen? „Sie würden es wichtig finden, dass die Geschichte erzählt wird. Ich bin überzeugt, sie würden heute genauso denken wie ich.“
„Irenas Geheimnis“ ist aktuell als Blu-ray verfügbar sowie auf Prime Video, Sky, Apple TV, MagentaTV, Freenet Video und Maxdome streambar – ein Film, der beweist, dass Zivilcourage und Widerstand immer möglich sind. Und ein Zeitzeugnis, das niemals in Vergessenheit geraten darf.
Quelle
„TVMovie Online“-Interview mit Roman Haller