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Kino

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ rückt weibliche Lust in den Fokus | Emily Atef im Interview

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ feiert Kinopremiere! Wir haben mit Regisseurin Emily Atef über die außergewöhnliche Liebesgeschichte, die Zusammenarbeit mit Daniela Krien, weibliches Begehren und die intensiven Sex-Szenen des Films gesprochen.

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen" lebt auch von den intensiven Sexszenen zwischen Maria und Henner
„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ rückt weibliches Begehren in ein neues Licht. Foto: Pandora Film

Auf der 73. Berlinale feierte „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ Premiere, seit heute (13. April 2023) ist der Film endlich in den deutschen Kinos zu sehen. Basierend auf der Romanvorlage von Daniela Krien erzählt das Drama die Geschichte der jungen Protagonistin Maria (Marlene Burow), die den Sommer 1990 in einem Dorf in Thüringen verbringt. Weil die Situation ihrer Mutter (Jördis Triebel) kurz nach der Wende schwierig ist, hat die 18-Jährige Unterschlupf auf dem Hof der Familie ihres Freundes Johannes (Cedric Eich) gefunden. Dort verkriecht sie sich in ihren Büchern – bis der 40-jährige Henner (Felix Kramer), ein schroffer Landwirt eines benachbarten Bauernhofes, sie in seinen Bann zieht. Eine verhängnisvolle Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf …

TVMovie.de: Erste Stimmen, die wir eingefangen haben, deuten darauf hin, dass „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ als „Frauen-Film“ wahrgenommen wird. Woran könnte es liegen, dass sich Männer anscheinend weniger angesprochen fühlen?

Emily Atef: Ich kann es nicht verstehen. Ich mache oft Filme über existenzielle Krisen bei Frauen und wie sie da rauskommen. Hier geht es natürlich viel um die Perspektive und das sexuelle Begehren einer jungen Frau, die sich vom Blick der Gesellschaft emanzipiert. Jungen Frauen wird nämlich vorgeschrieben, wie sie zu begehren haben und wen sie zu begehren haben. Sie trifft ihn, irgendetwas zündet sie an und sie tut es, auch wenn sie sich verbrennen wird. Aber das zwischen Maria und Henner ist eben eine Amour Fou, die ohne Wörter besteht. Es ist rein physisch, erst mal tierisch, animalisch, sexuell. Aber es geht ja um zwei Menschen und für mich ist es auch ein interessantes Porträt dieses Mannes und daher finde ich nicht, dass es ein Frauen-Film ist. Es ist ein Film für Männer und Frauen. Falls Männer das nicht mit-empfinden können – diese Lust auf sie zum Beispiel - kann ich es nicht verstehen.  

TVMovie.de: Frauen scheint der Film jedenfalls durch die Bank weg zu faszinieren!

Emily Atef: So viele Jahre lang hat sich immer alles um das Begehren von Männern gedreht. Die Frauen waren nur das Objekt der Begierde. Wir als Zuschauerin - wir waren genauso oft im Kino, wenn nicht sogar mehr - haben das angenommen und akzeptiert und fand das schön. Und wenn es umgedreht wird, wird es irgendwie nicht verstanden. Das finde ich schade. Ich habe auch viele Männer gesprochen, die den Film vollkommen verstanden haben, ihn erregend und interessant fanden. Für mich steht fest, dass wir viel häufiger solche Geschichten brauchen. Wir müssen klarmachen, dass die Hälfte der Menschheit weiblich ist, dass diese zweite Hälfte der Gesellschaft ganz andere Fantasien hat, dass die aber genauso spannend sind wie die männlichen.

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen": Maria (Marlene Burow) und Johannes (Cedric Eich)
"Irgendwann werden wir uns alles erzählen": Maria (Marlene Burow) und Johannes (Cedric Eich). Foto: Pandora Film

TVM: Sexszenen haben in „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ einen großen Stellenwert. Ich würde gerne über die Unterschiede zwischen Film und Romanvorlage sprechen. Im Buch wirkt Henner nochmal brutaler, im Film doch ein bisschen sanftmütiger.

Emily Atef: Vieles im Roman ist gar nicht so explizit, es entsteht einfach im Kopf der Leserinnen und Leser. Ich habe mich mit Romanautorin Daniela Krien, die mit mir den Roman für die Leinwand adaptiert hat, entschieden, dass wir eine Maria wollen, die stärker ist. Wir wollten, dass sie ein bisschen aktiver ist. Eine, die nicht nur folgt, sondern sich auch das nimmt, was sie will. Als wir die Schauspieler gecastet haben, haben wir gemerkt, dass es mit rein sexuellem Begehren anfängt. Dann wird die Anziehung aber zu einer Liebe auf Augenhöhe – was im Roman nicht der Fall war. Da ist sie erst 16 oder 17. Im Film ist sie älter und macht nicht alles mit, ist aktiver. Ein Beispiel: Im Roman gibt er ihr Wodka, sie trinkt ihn. Im Film weigert sie sich. Damit sagt sie, ich begehre, ich muss nicht dumpf sein. Im Roman kocht sie viel für ihn, hier kocht er für sie, um sich für sein Verhalten in der Kneipe zu entschuldigen.

TVM: Was macht Henner als Figur so spannend für dich?

Emily Atef: Ich finde, Henner hat auch etwas Feminines, Zartes, weil er zum Beispiel diese Mutterliebe hatte, auch im Roman. Oder als Maria krank ist: Er wäscht sie und liest ihr Gedichte vor. Aber vor allem hat mich dieser französische Begriff der Amour Fou gereizt. Für diese intensive Liebesgeschichte musste Maria älter sein, damit es auf Augenhöhe ist. Aber es kann nur schlecht enden, weil es so intensiv ist. Wenn sie passiver gewesen wäre, wie im Roman, wäre das schwierig gewesen. Aber ich wollte trotzdem, dass man sich mit Henner nie sicher sein kann. Er ist unberechenbar. Als sie sagt ‚Mach mit mir, was du willst‘, geht die Tür zu und wir wissen ‚Oh mein Gott, jetzt wird es wirklich losgehen.‘ Und als wir sie das nächste Mal sehen, ist sie krank ...

TVM: Wie war die Zusammenarbeit mit Daniela Krien? War sie sehr offen für die Änderung? Zum Beispiel Marias Alter? Gab es Sachen, die ausgefochten werden mussten?

Emily Atef: Ich wollte diesen Film unbedingt machen, aber ich wusste, dass die Rechte bereits vergeben waren. Aber diese Welt hat mich nicht losgelassen. Also habe ich ihr 2014 geschrieben und gefragt, ob es irgendwas anderes gibt, das wir machen können. Wir haben uns getroffen, und wir waren fast wie verliebt – platonisch natürlich. Wir kommen aus verschiedenen Welten, aber wir sind uns so gleich, verstehen uns so gut, persönlich wie künstlerisch. Unser Blick auf Menschen, auf Geschichten, auf das Leben ist sehr ähnlich. Sie versteht meine Filme, ihre Bücher hauen mich um. Also hatte sie extremes Vertrauen und wusste, ihr Buch ist in guten Händen. Wir haben uns nie gestritten, nicht ein einziges Mal. Wenn ihr Sachen wichtig waren, so wie mit der Familie, dann konnte sie es mir erklären und ich konnte es total annehmen. Auch im Film war Maria lange noch 16 oder 17, aber dann haben wir gemerkt, dass es dann so polemisch oder kontrovers wird, dass man nur darüber reden wird. Dass er 20 Jahre älter ist, ist heftig genug.

"Irgendwann werden wir uns alles erzählen": Maria (Marlene Burow) und Henner (Felix Kramer)
Trotz eines Altersunterschides von über 20 Jahren begegnen sich Maria (Marlene Burow) und Henner (Felix Kramer) auf Augenhöhe. Foto: Pandora Film

TVM: Erzähl gerne noch ein bisschen über die Rolle der Maria!

Emily Atef: Ich wollte für Maria eine Schauspielerin, die zwar jung ist, die als starke Frau jedoch glaubwürdig ist. Ich wollte absolut kein Opfer. Ich wollte kein fragiles Wesen, keine fragile Maria. Ich wollte, dass man merkt, dass sie sehr sexuell ist. Sie hat Freude am Sex, das sieht man am Anfang mit ihrem Freund. Aber das, was sie braucht, kann Johannes ihr nicht geben. Und Henner hat recht, als er sagt, irgendwann wirst du mich verlassen. Würde sie bestimmt!

TVM: Das war ein sehr interessanter Aspekt, weil er einen neuen Blick auf diese Affäre ermöglicht hat. Bei einem solchen Altersunterschied sieht man normalerweise den Mann in der Verantwortung und denkt vor allem daran, was die Frau zu verlieren hat. Aber da sie in gewisser Weise auf Augenhöhe waren, wurde schön herausgestellt, dass auch er viel zu verlieren hat. Dadurch, dass sie bei dir älter ist, wird eine Sache im Film jedoch etwas schwerer greifbar: sein Suizid am Ende. Der Schuld-Aspekt wiegt nicht mehr so stark.

Emily Atef: Als ich den Roman das erste Mal gelesen habe, konnte ich es nicht fassen. Es ist so brutal, aber es hat eine fantastische Dramaturgie. Beim Film hat es daher sehr lange gedauert, bis wir beim Schnitt ein Ende gefunden haben, weil es so schnell ist und so brutal, ich aber auch diesen Schimmer von Hoffnung gesehen habe. Daher sind der letzte Satz und dieses Bild am Ende so wichtig. ‚Eines Tages werden wir alle aufstehen und uns alles erzählen, wirklich alles.‘ Man weiß, vielleicht ist sie noch nicht bereit, aber sie wird es machen.

TVM: Aber wieso nimmt er sich das Leben? Will er sie auf eine absurde Art und Weise beschützen?

Emily Atef: Ja, aber es ist absolut offen. So war es auch im Roman. Jeder interpretiert es anders. Erstmal wissen wir, er wird in dieser neuen Zeit nicht bestehen. In der DDR hat er auch nicht Fuß gefasst. Er ist fast wie ein Typ aus einer anderen, dem 19. Jahrhundert oder so. Und er weiß: Sie wird gehen. Für mich liegt es auch an seiner fehlenden Liebe für sich selbst. Er ist so gebrochen, dass er nicht verstehen kann, dass jemand ihn so liebt. Und ich glaube, als sich bei ihm ein kleiner Zweifel eingeschlichen hat, ob sie zurückkommt, hat er wieder zur Flasche gegriffen. Aber das ist meine Interpretation. Manche sagen, er tut es, um sie zu schützen, ja.

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TVM: Das Spannende war auch das Hof-Setting, weil es wie ein Mikrokosmos war, der keinen Raum für Alibis gelassen hat. Außer ihrer Mutter blieben Maria wenige Ausreden, wo sie sich angeblich herumgetrieben hat. Wie habt ihr die tollen Drehorte gefunden?

Emily Atef: Ich kannte Thüringen vorher nicht. Die Natur ist unberührt und es ist nicht stark besiegelt. Da gibt es wirklich noch Insekten, die auf der Autoscheibe kleben bleiben. Ich habe diese unglaublich schöne Gegend selbst neu entdeckt – dank meiner Szenenbildnerin Beatrice Schulze. Es war am Anfang von Corona, es war Januar, und sie suchte auf Google Maps nach einem Ort zu schlafen, aber es gab nichts. Dann hat sie diesen Reiterhof entdeckt und gegenüber war ein Hof und dann ein bisschen weiter ein zweiter. Alles war da, es war perfekt.

TVM: Tausend Dank für das spannende Gespräch!

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“​ läuft seit dem 13. April im Kino. Den Trailer könnt ihr euch hier anschauen

 


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