„Materialists“ mit Dakota Johnson hinterfragt moderne Beziehungsbilder und den Wert der Liebe - Kritik
Mit „The Materialists“ zerlegt Céline Song das Märchen der großen Liebe – und stellt die unbequeme Frage, was Beziehungen heute wirklich zusammenhält: Liebe oder finanzieller Spielraum?

Was ist Liebe eigentlich wert? Ist sie es wert, Träume und Ziele aufzugeben? Oder sich selbst für jemanden neu zu erfinden? Lucy, gespielt von Dakota Johnson, behauptet zu wissen, wie Liebe funktioniert – schließlich vermittelt sie in New York die „perfekten Matches“ für anspruchsvolle Klient:innen. In ihrem Job zählen nicht Herzklopfen oder Bauchgefühl, sondern Haardichte, Größe und Crossfit-Level. „Ihr werdet die Liebe eures Lebens heiraten“, verspricht sie. Nur in ihrem eigenen Liebesleben glaubt sie nicht so recht daran – bis plötzlich zwei Männer in ihr Leben treten.
Anders als vielleicht zunächst vermutet, ist „Was ist Liebe wert – Materialists“ weit mehr als eine ironisch-romantische Rom-Com über eine Frau zwischen zwei Männern – ihrer einstigen Liebe John (Chris Evans) und dem charmanten Millionär Herry (Pedro Pascal). Es ist ein feinfühliges Drama über alte Gegensätze: Liebe und Geld, Wunsch und Wirklichkeit, Nähe und materiellen Status.
Die Ehe – ein Vertrag oder ein Zusammenspiel zweier Herzen?

„Materialists“ beginnt überraschend still: Kein Dialog, keine Musik. Nur ein haariger Mann aus der Steinzeit, der Blumen pflückt, sie sorgsam in einen Beutel steckt und seiner Partnerin überreicht. Fast nackt, aber spürbar aus Liebe. Kurz glaubt man, man sitzt im falschen Kinosaal – doch genau das ist das Besondere. Der Einstieg zeigt, was Regisseurin Céline Song wirklich interessiert: nicht die Oberfläche von Beziehungen und Heirat, sondern ihr Ursprung.
Der Zeitsprung folgt prompt: Lucy (Dakota Johnson) hetzt durch New York, wie man es von einer vielbeschäftigten Partnervermittlerin erwartet. Die Wünsche ihrer Klient:innen kennt sie aus dem Effeff – und ihre eigenen sind kaum weniger anspruchsvoll. Für Lucy ist Liebe eine Frage von Logik, Status und Zahlen. Perfekte Paare lassen sich berechnen. Herkunft, Lebensstil, Kontostand – alles muss stimmen!
Doch dann trifft sie auf der neunten von ihr gematchten Hochzeit plötzlich ihren Exfreund John (Chris Evans) wieder. Dumm nur, dass sie kurz zuvor dem Bruder des Bräutigams begegnet ist: Harry (Pedro Pascal) – ein charmanter Milliardär, der Lucys Checkliste Punkt für Punkt erfüllt. Das sprichwörtliche „Einhorn“ in der modernen Dating-Welt. Und von da an scheint es klar, wohin die Reise geht: Lucy, die nie wirklich heiraten wollte, findet ihren Traummann, der ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest und alles das ist, was Lucy sich je erträumt hat.
Aber Céline Song macht keine simplen Angebote. Sie erzählt keine Dreiecksgeschichte, in der sich die Hauptfigur zwischen Herz und Kopf entscheiden muss. Sie beleuchtet das Konzept von Liebe und Partnerschaft in der Tiefe, behandelt Themen wie sexuelle Macht, materielle Wünsche und emotionale Kontrolle – und lässt Zuschauer:innen ihre eigene Einstellung, ihre Wünsche und Ziele hinterfragen. Und ganz besonders stellt sie eine unbequeme Frage: Was, wenn beides unvollständig bleibt – egal, wie du dich entscheidest? Was, wenn du weder ganz lieben kannst noch ganz sicher bist?
Das Ende des Films schließt den Kreis – mit einem kleinen Blume am Finger, genau wie bei dem Neandertaler-Paar in den ersten Minuten. Die gleiche Geste, nur in einer anderen Zeit – und es wird klar, woher der Wunsch nach einer Hochzeit wirklich rührt. Eine Szene, die einen definitiv zum Lächeln bringt. Und vielleicht auch ein kleines bisschen zum Weinen ...
Céline Song bleibt sich treu – und entwickelt sich weiter
Die größte Überraschung von „Was ist Liebe wert – Materialists“ ist, wie still der Film mit Romantik umgeht – und wie stark sie trotzdem wirkt. Chris Evans verleiht John eine feine Melancholie, denn seine Blicke sagen mehr als alles, was gesprochen wird. Was zwischen ihm und Lucy liegt, ist keine Liebe, die neu aufflammt – sondern eine, die leise geht. Und trotzdem bewegt sich der Film nicht rückwärts. Er richtet den Blick nach vorn. In einer der berührendsten Szenen tanzt Lucy auf einer Hochzeit zu „That’s All“ – ein Song, der davon erzählt, dass wahre Liebe nicht viel braucht. Ironisch, wenn man bedenkt, dass Lucys gesamtes Umfeld auf Geld, Macht und Prestige basiert. Und doch ist genau das der Moment, in dem der Film ehrlich wird.
Nach dem riesigen Erfolg von „Past Lives“ bleibt Céline Song ihrem Ton treu – und entwickelt ihn noch weiter! Sie vertraut auf kleine Gesten statt großer Statements. Die Kamera hält Abstand, die Musik bleibt zurückhaltend, Dialoge sind präzise gesetzt. Und gerade dadurch entsteht Nähe. Als Lucy mit einer traumatisierten Klientin konfrontiert wird, gerät ihr System ins Wanken. Plötzlich steht nicht mehr Berechnung im Vordergrund, sondern Verletzlichkeit. Song zeigt all das, ohne zu erklären. Und genau deshalb geht der Film unter die Haut und bleibt im Kopf.
„Materialists“: So viel Céline Song steckt in Lucy!
Etwas ganz Besonderes an dem Film: Er ist inspiriert von Céline Songs eigenem Leben! Denn Song wusste ganz genau, wovon sie erzählt! Bevor sie mit „Past Lives“ für zwei Oscars nominiert wurde, arbeitete sie selbst als Heiratsvermittlerin in Manhattan – und lernte dabei mehr über menschliche Sehnsüchte als in jedem anderen Job zuvor. Genau dieses Wissen fließt in „Materialists“ spürbar mit ein. Es macht Lucys Welt so zynisch, so komisch, so bitter – und so ehrlich schön.
Und das Absurdeste: Sätze wie jene, die Lucy sich in „Materialists“ anhören muss – über Haarlänge, Körpergröße oder das Fitnesslevel, das mindestens erfüllt sein sollte hat Céline Song selbst zuhauf gehört. Im Film wirkt es komisch, in der echten Welt ist es bittere Realität.
Fazit: Ein Liebesfilm, der Hinterfragen lässt
Céline Song hat einen Film gedreht, der mit leisen Bildern laut über unsere Zeit spricht – und über die Art, wie wir heute auf Liebe, Dating und Beziehungen blicken. Denn sind wir ehrlich: Eine Checkliste haben wir doch alle schon mal gemacht. Die Person soll sportlich sein, gut aussehen, finanziell stabil, charmant, witzig – vielleicht groß? Blond? Oder doch lieber brünett? Je länger man nachdenkt, desto länger wird die Liste. Besonders in einer Welt, in der man mit einem Swipe Dutzende neue Optionen serviert bekommt – und dabei vielleicht das verliert, worauf es wirklich ankommt.
„Materialists“ fängt genau dieses Dilemma ein – und zeigt, wie schwer es sein kann, das Richtige zu erkennen, wenn alles möglich scheint. Liebe ist eben nicht planbar, nicht berechenbar. Und eine Hochzeit sollte kein Steuertrick sein, sondern ein ehrlicher Schritt aus Überzeugung.
Céline Song erzählt all das mit feinem Gespür, viel Lebenserfahrung und einem Blick fürs Detail. Was zunächst wie eine charmante RomCom wirkt, entpuppt sich als überraschend ehrliches Beziehungsdrama – klug erzählt, visuell reduziert und emotional präzise. Einer dieser Filme, der nachwirkt. Und genau deshalb unter die Haut geht.