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Fernsehen

"No More Boys and Girls": Collien Ulmen-Fernandes über fragwürdige Geschlechterklischees

Am Donnerstag zeigt ZDFneoNo More Boys and Girls“. Im Interview sprachen wir mit Collien Ulmen-Fernandes über die Doku, Erziehung, Sexismus und vieles mehr.

"No More Boys and Girls" mit Collien Ulmen-Fernandes
„No More Boys and Girls“ - Collien Ulmen-Fernandes im Interview: „Man wird als Frau sehr stark auf Äußerlichkeiten reduziert." Foto: ZDF/Martin Rottenkolber

Frauen und Männer sind heutzutage gleichberechtigt, bei der Erziehung unserer Kinder machen wir keine großen Unterschiede, damit sie im Leben dieselben Chancen haben. Soweit die Theorie! Die Realität sieht jedoch anders aus.

Wir schenken Mädchen rosa Kleidchen und Puppen und Jungs blaue Turnschuhe und Spielzeug-Autos. Das mag halb so wild sein, doch sobald manche Dinge wie mögliche, spätere Berufe im Erlebnis-Horizont von Jungen oder Mädchen überhaupt nicht auftauchen, weil ihr Umfeld sie – wenn auch unbewusst – starre Rollenbilder lehrt, entsteht Ungleichheit.

Mit der Frage, wie sehr konservative Rollenbilder auch heute noch die Geschlechtsidentität und Persönlichkeitsentwicklung deutscher Kinder prägen, befasst sich die neue ZDFneo-DokumentationNo More Boys and Girls“.

Moderatorin und Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes, die gemeinsam mit Satiriker und Schauspieler Christian Ulmen selbst eine sechsjährige Tochter hat, besuchte für die Sendung Grundschulklassen und nahm die Rollenbilder siebenjähriger Kinder unter die Lupe.

Das überraschende Ergebnis ist ab Donnerstag, den 22. November, auf ZDFneo in der zweiteiligen Dokumentation „No More Boys and Girls“ zu sehen.

Im Interview verriet Collien Ulmen-Fernandes „TV Movie Online“-Redakteurin Anna Peters, weshalb ihr die Sendung nicht verpassen solltet und was sie zum Thema „Gender“ sonst noch umtreibt.

 

Collien Ulmen-Fernandes im Interview

TV Movie Online: „No More Boys and Girls“ setzt sich kritisch mit Rollenbildern auseinander. Die Sendung leistet somit einen wichtigen Beitrag, weil sie aufzeigt, wie sehr wir unsere Kinder bezüglich ihrer Geschlechtsidentitäten beeinflussen. Was können wir persönlich beitragen, um Rollenbilder aufzubrechen?

Collien Ulmen-Fernandes: „In der Sendung geht es darum, den Horizont der Kinder zu erweitern. Die Rollenvorstellungen, die wir in den Klassen vorgefunden haben, waren wirklich extrem. […] Die Rollenbilder, die Kinder in diesem Alter haben, sind einfach sehr stereotyp, was übrigens auch auf meine Tochter zutrifft. Sie hat beispielsweise erzählt, dass manche Dinge 'keine Mädchen-Sachen' sind, wie zum Beispiel Hip-Hop, Skateboarden oder Roboter. Als es einmal ums Autofahren ging, meinte sie, 'Mama, eine Frau kann doch kein großes Auto fahren und ein Mann in einem kleinen Auto, wie würde das denn aussehen?'. Das ist ihre Weltsicht. Es sind auch die Rollenbilder, die beispielsweise im Kinderfernsehen gezeigt werden, die die Kinder beeinflussen. In den Kinderbüchern ist es genauso: Der Vater kommt von der Arbeit nach Hause, die Mutter kocht das Essen und bringt später die Kinder ins Bett […].

Darum, gegen solche Dinge anzusteuern, ging es auch in 'No More Boys and Girls'. Wir wollten den Kindern eine Vielfalt zeigen, die aktuell eben noch gar nicht stattfindet.“

Wo merken sie bei sich selbst, dass sie (in ihrer Kindheit) „gegendered“ wurden?

„[...] Bei Mädchen - das haben auch zahlreiche Studien gezeigt – wird viel stärker die Äußerlichkeit betont. Mädchen werden viel häufiger auf ihr Aussehen angesprochen. Auf Shirts für Mädchen stehen oft Dinge wie 'Beauty', 'Fashionista'. Das ist eben das, was ich auch häufig gespürt habe. Mir war [deshalb] immer wichtig, mich mit meinen Moderations-Texten auseinander zu setzen. [...]

Als ich kürzlich bei einer Preisverleihung eine Laudatio gehalten habe, wurde ich ausnahmsweise mal nicht zensiert. Oft heißt es, 'das kannst du so nicht sagen, der Witz ist zu krass, das ist Männer-Humor.' Diesmal durfte ich es mal machen, wie ich wollte und prompt schrieb eine Zeitung 'ein Sprachkunstwerk voller hintersinnigem Witz'. Ich habe mich gefreut und gleichzeitig gedacht, wie bescheuert es eigentlich ist, dass ich die Texte lange Zeit nicht so machen durfte, wie ich wollte. Und, dass man als Frau einfach oft sehr stark nur auf Äußerlichkeiten reduziert wird.“

Umso mehr dürfte es Sie freuen, dass sie durch Ihre Kolumne in der „Süddeutschen Zeitung“ mittlerweile eine Plattform haben, auf der es nur noch um ihre Worte und Inhalte geht und nicht mehr um ihr Aussehen.

„Ich habe mich sehr gefreut, als die 'Süddeutsche' auf mich zukam und gefragt hat, ob ich für sie als Kolumnistin arbeiten möchte. Ich weiß, dass mein Stil manchmal aneckt, aber mittlerweile habe ich eine kleine Fan-Base und darf schreiben, wie ich möchte.“

Ist es für Frauen mittlerweile vielleicht sogar einfacher, Rollenbilder aufzuweichen? Würden Sie die These unterschreiben, dass „burschikose Frauen“ - in Anführungszeichen – eher akzeptiert werden als „feminine Männer“?

„Bei Erwachsenen nicht, aber bei Kindern ist das auf jeden Fall so. Wir haben in der Sendung einige Wissenschaftler und Experten, die sagen, dass es für Jungs wichtiger ist, ein 'richtiger Junge' zu sein. Deswegen achten sie sehr stark darauf, was 'richtig' ist und was 'falsch'. Das passiert aber auf zwei Ebenen – zum einen achten die Eltern darauf und zum anderen die Kinder selbst (ab dem Alter in dem sie sich mit ihrer Geschlechtsidentität befassen).

Für 'No More Boys and Girls' haben wir zum Beispiel in einer Fußgängerzone T-Shirts an Passanten verschenkt. Die meisten Jungs zwischen zwei und vier Jahren fanden Roboter-Motive gut, aber eben auch Blumen. Dann haben sich häufig die Mütter eingeschaltet, ihnen das Blumen-Shirt aus der Hand gerissen und gesagt, 'Nein, das ist nichts für dich, das ist für Mädchen'.

Gerade Jungs wird eingeschärft 'männlich' zu sein oder nicht zu weich zu wirken. Die Kinder möchten dann dem Bild eines 'richtigen Jungen' entsprechen. Von Jungen wird zum Beispiel eher erwartet, dass sie später mal eine Familie ernähren, sprich erfolgreich sind.

Meine russische Maskenbildnerin hat mir mal erzählt, wenn sie früher einen neuen Freund hatte, wurde immer als erstes gefragt, 'Kann er eine Familie ernähren und was für ein Auto fährt er?'.

In Dating-Shows hört man oft, wenn nach der Erwartung an den Mann gefragt wird: Er muss mich ernähren können. Auf Jungs-Shirts stehen Dinge wie 'Lengendary' oder 'Born to be a genius'.“ Das setzt Kinder unter Druck.

Gab es auch Eltern, die Sie überrascht haben? Also wenigstens mal eine Person, der die Klischees egal waren?

„Nein, eigentlich nicht. Manche haben gespürt, auf was wir hinaus wollen und dann so etwas gesagt wie, 'Naja, ausnahmsweise, wenn Sie das wollen'. Aber am Ende haben sich alle sehr stereotype Motive ausgesucht.

Ich frage mich auch, weshalb so etwas wie 'Born to be a legend' nicht auf Mädchen-Sachen steht, wieso Brillanz eher mit Männern verknüpft wird. Aktuell findet das im Horizont der Mädchen nicht statt. Die sollen sich viel eher mit Äußerlichkeiten auseinandersetzen. Man konzentriert sich weniger auf seinen Geist, wenn man lernt, dass das Aussehen wichtiger ist.

Es gibt eine amerikanische Studie, in der Kindern von einem 'sehr, sehr schlauen Kind' erzählt wird, danach müssen die siebenjährigen Kinder raten, welches Geschlecht dieses Kind wohl hat und sie tippen fast alle auf einen Jungen, weil sie Intelligenz eher mit Männlichkeit in Verbindung bringen.

Es gibt ja auch tolle Kinderbücher, die versuchen hier entgegenzuwirken – zum Beispiel „König und König“, in dem der Prinz eine Frau finden soll, aber keine der Prinzessinnen gefällt ihm. Am Schluss verliebt er sich in den Bruder einer Anwärterin. Oder Bücher über starke Frauen wie „Good Night Stories for Rebel Girls - 100 außergewöhnliche Frauen“, in denen gezeigt wird, dass das Maximum für eine Frau eben nicht ist, Prinzessin zu werden, sondern vielleicht Wissenschaftlerin, Politikerin oder Ähnliches.

„Wir haben solche Bücher auch gekauft - 'Rebel Girls' oder 'Wissenschaftlerin gesucht'. Solche Bücher finde ich wichtig und gut. Aber das Ganze müsste einfach natürlicher sein, beiläufiger stattfinden. Auch im Kinderfernsehen sollte vielleicht einfach mal eine Wissenschaftlerin auftauchen oder ein Professorin, ohne dass es groß zum Thema gemacht wird. Ich wünsche mir, dass im Mainstream viel mehr Diversität stattfindet, die wir aktuell nicht haben. Auch, dass der Vater sich um die Kinder kümmert, sollte viel selbstverständlicher abgebildet werden und nicht nur als spezieller Sonderfall.“

 

Collien Ulmen-Fernandes im Interview: Hat die "MeToo"-Bewegung Männer verunsichert?

Donald Trump hat kürzlich gesagt: „Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit für Männer“, da er der Meinung ist, man könne als Mann jederzeit zu Unrecht beschuldigt werden, eine Frau unsittlich berührt oder missbraucht zu haben. Was würden Sie Männern mit auf den Weg geben, die so denken oder in Zeiten von „MeToo“ plötzlich solche Ängste entwickeln?

„Ich glaube nicht, dass das mit 'MeToo' zusammenhängt. Ich finde die Bewegung wichtig, um Männer zu sensibilisieren und zu informieren. Ich habe es selbst bei meinem Mann gemerkt. Er war erstaunt darüber, wie viele Frauen tatsächlich schon Erfahrung mit sexuellen Übergriffen gemacht haben - nämlich die meisten. Dadurch gehen Männer vielleicht etwas vorsichtiger mit Frauen um, sei es im Bezug auf schlüpfrige Witze oder sonst etwas. Seit 'MeToo' hat ein Umdenken stattgefunden.

Trotzdem erlebt man es auch, dass Männer etwas verunsichert sind, wenn sie eine Frau toll finden und sich fragen, 'Wenn ich ihr jetzt sage, dass sie schön ist, ist das dann Sexismus?'

Ich finde teilweise wurde auch etwas übertrieben. Mal ein Beispiel: Ruth Moschner. Sie macht viele Komplimente und sagt Frauen zum Beispiel: 'Du hast ja ein schönes Kleid an' oder 'Du siehst heute aber schön aus'. Ich habe mich in dem Zusammenhang gefragt, wie es wohl wäre, wenn Ruth Moschner ein Mann wäre. Dann dürfte sie das vermutlich nicht und da entsteht dann natürlich ein Ungleichgewicht. Wenn Kai Pflaume das gleiche nett-gemeinte Kompliment machen würde, gäbe es vielleicht Ärger. Ich kann es also schon verstehen, dass Männer gelegentlich verunsichert sind, aber der Dialog der entsteht, ist etwas Positives.“

2010 wurden Sie von den Lesern der "FHM" zur "Sexiest Woman in the World" gewählt. Ist das ein Kompliment oder hinterlässt so etwas vielleicht doch einen bitteren Beigeschmack?

„Da es solche Wahlen auch für Männer gibt und so etwas in beide Richtungen stattfindet, hat das für mich im Bezug auf dieses Thema keine Relevanz. Generell messe ich dem keine große Bedeutung bei. Es ist nicht so, dass ich herumrenne und es hinausposaune. Es ist mir relativ egal, aber ich empfinde es auch nicht als Sexismus Frauen gegenüber.“

Außerdem kommt es ja auch auf die Definition von 'sexy' an. Intelligenz ist ja bekanntlich auch sexy. Wer weiß, wie die "FHM"-Leser so etwas beurteilen.

„Das weiß man natürlich nicht. Ich glaube am Ende geht es auch ein bisschen darum, wen man mag und wen eben nicht. Aber wie man da wählt, weiß ich nicht. Ich glaube es ist eher boulevardesker Zeitvertreib bzw. Langeweile, wenn man bei solchen Wahlen mitvotet.“

Was ist die wichtigste Botschaft von „No More Boys and Girls“? Was sollen die Zuschauer aus der Sendung mitnehmen?

„Es geht vor allem darum, den Kindern eine breite Palette aufzuzeigen. Sie waren am Anfang wirklich erstaunt darüber, dass auch Frauen ein Flugzeug fliegen können und nachdem wir ihnen eine Pilotin vorgestellt haben, wollten plötzlich sieben von 10 Mädchen Pilotin werden.

[…] Um den Traum eines bestimmten Berufs zu haben, muss der natürlich auch im Erlebnis-Horizont, im Sichtfeld der Kinder stattfinden. Es gibt nicht umsonst den Satz, 'If you can see it, you can do it'. Und darum geht es einfach: Allen Kindern all ihre Möglichkeiten aufzuzeigen und zu sagen: 'Nicht wir entschieden, was ihr macht. Das ist eure Welt und die steht euch in alle Richtungen offen. Auch Frauen können Flugzeuge fliegen und jetzt entscheidet ihr, ob ihr das möchtet'.“

Ergo müssen Eltern, Erzieher, Lehrer und das gesamte Umfeld einen Beitrag dazu leisten. Der Slogan lautet also sinngemäß: „If you can see it, you can do it“ - „Then show them!“

„Ganz genau! Das ist es!“

Vielen Dank!

"No More Boys and Girls" mit Collien Ulmen-Fernandes
Bild: ZDF und Alexander Fischerkoesen

Die Dokumentation "No More Boys and Girls" geht am Donnerstag, den 22. November 2018, um 20.15 Uhr bei ZDFneo auf Sendung. Der zweite Teil läuft (ab 21.00 Uhr) direkt im Anschluss. Wer sich nicht ganz so lange gedulden möchte, kann sich beide Folgen bereits ab 10 Uhr morgens in der ZDFmediathek anschauen.

Die Sendung leistet einen wichtigen Beitrag zu einem Thema, das jeden Menschen – unabhängig von seinem Geschlecht - betrifft. Ihr solltet sie also nicht verpassen!

* von Anna Peters

 
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