Lichtblick in der Sommerpause? Der „Tatort“ meldet sich heute mit „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ zurück
Auch wenn treue Fans noch bis September auf neue „Tatort“-Fälle warten müssen, gibt es einen Lichtblick: Nach zwei Wochen Frauen-Fußball-EM wird nun endlich wieder ein „Tatort“ wiederholt. Ist der Berliner Fall „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ würdiges Kontrastprogramm?

Vor über zwei Wochen wurde man in der „Tatort“-Sommerpause mit dem eher mäßigen Fall „Angst im Dunkeln“ aus Bremen begnügt. Nun wiederholt man einen Berliner Fall aus 2022: Kann dieser das Ruder für die Sommerpause herumreißen oder kochen Meret Becker und Co. auch nur mit ganz lauwarmem Wasser?
„Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“: Darum geht es in dem Fall aus Berlin
Ermittlerduo Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) stehen vor einer Leiche, die aus der Spree gefischt wurde. Es gibt keine Anhaltspunkte, wer die Leiche sein oder wer für die Leiche verantwortlich sein könnte – bis sich der Fall nahezu von selbst löst. Eine junge Frau namens Julie Bolschakow (Bella Dayne) offenbart Nina Rubin, dass ihr Mann Yasha (Oleg Tikhomirov) und sein krimineller russischer Klan für den Tod des Mannes verantwortlich sind.
Damit scheint der Fall gelöst, aber es tut sich ein anderes Problem auf: Als Gegenleistung für Beweise der Taten ihres Mannes verlangt Julie die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm, da sie sich durch den Verrat an ihrem Mann in Lebensgefahr befindet – ein Rennen gegen die Zeit beginnt.
Was ist in Berlin los? Was „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ gut macht
Man nenne mich Meret Becker, denn ich habe keine Beweise, aber zumindest die Vermutung, dass der BR eine gigantische Summe in diesen „Tatort“ gepumpt hat. Das Wichtigste vorab: „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ glimmert die ersten 60 Minuten entspannt vor sich hin, bis er dann in der letzten halben Stunde in einem lichterlohen Feuer (diesmal nicht aus Dortmund) aufgeht.
Während die ersten zwei Drittel einen 08/15-„Tatort“ bieten, wird im letzten Drittel plötzlich eine späte Kopie von „Stirb langsam 2“ daraus – wenn auch etwas limitierter als das amerikanische Vorbild. Meret Becker und Co. klettern durch Lüftungsschächte, Dampf kommt aus Rohren raus, es wird geschossen und Mark Waschke darf sich sogar ein wenig prügeln. Für einen deutschen Fernsehfilm ist das auf dem höchsten Niveau.
Zu dem mehr als aufregenden Finale am Flughafen reihen sich noch ein paar mehr nette Szenen. Meret Becker darf zum Beispiel mit Bella Dayne in einer lesbischen Bar tanzen – das sieht zwar zeitweise limitiert aus, aber berührt dennoch. Und das Haus, oder eher Villa, des mafiösen Russenklans sieht authentisch aus – vom Pool bis zum Fahrstuhl wirkt das alles recht glaubwürdig; oder eher dem Klischee getreu. Mit der Ausnahme des Schlafzimmers, welches eher kitschig als reich aussieht. Apropos, kitschig …
Alles wie immer – auch in Berlin
Auch wenn in Berlin große Geldbeträge für ein Finale im Flughafen da zu sein scheint – da soll noch einer behaupten, dass der BER Zeit und Geldverschwendung war – steht dem der übliche „Tatort“-Quatsch entgegen. Hier vor allem besonders auffällig: Schlechte Darstellerleistungen.
Während Meret Becker meistens eher unauffällig bleibt, buhlt Mark Waschke um die Gunst der Zusehenden – und versagt dabei sang- und klanglos. Es ist sicherlich nicht Waschkes Schuld, dass ihn das Drehbuch streckenweise wieder vergisst, aber die Szenen, die er hat, muten eher wie „Karl May Festspiele“ als Krimi an.
Da wäre zum Beispiel die Szene, in der Waschke einen (titelgebenden) Tatort inspiziert und dabei spielt wie Robert Downey Jr. in „Sherlock Holmes“ (2012). Wenn man sich schon von Filmen inspirieren lässt, warum dann nicht von guten Filmen? Aber tendenziell ergibt es Sinn: Wer ist mehr die deutsche Antwort auf Sherlock Holmes als Mark Waschke?
Aber nicht nur Waschke ist ein mangelhafter Mime, sondern auch seine Chefin. Ich musste gerade nachsehen, wie der Rollenname ebenjener Chefin war, doch augenscheinlich war der Charakter von Schauspielerin Nadeshda Brennicke von Sparmaßnahmen betroffen – denn selbst 2025 dürfte „Kriminaldirektorin“ kein akzeptabler Vorname sein.
Auch nicht akzeptabel: Das Pathos, mit dem Brennicke ihre Kriminaldirektorin spielt. In jeder ihrer Szene steht sie schwermütig da und blickt aus dem Fenster auf vorbeifahrende U-Bahnen, während sie große Reden schwingt … die in nichts münden. Was ebenso in nichts mündet …
Eine Gurkentruppe und eine Labertasche in der Matrix: Was im Berliner „Tatort“ noch schiefläuft
Das Letzte, was man tun sollte, wenn man seine Protagonisten nicht auserzählen kann (Mark Waschke), ist es, noch hundert weitere Charaktere ins Buch zu schreiben, die nicht mehr als Gimmicks und Füllmaterial sind. Selbstverständlich ist es recht authentisch, dass viele Charaktere im Berliner LKA arbeiten, aber dafür reichen auch Statisten aus – nicht jede Person braucht eine Sprechrolle.
Wenn man schon aus der Repräsentation heraus einen Mann in Rollstuhl castet, warum kann der auch nicht gleich der ermittelnde Kommissar statt eines Extras mit drei bis fünf Sätzen sein?
Darüber hinaus wird mit einer der spannendsten Szenen im Flughafenfinale gebrochen, da eine im Flughafen arbeitende Frau auftaucht, die kontinuierlich coole Fakten über den BER und ihren Job erzählt – vielleicht hätte man in den 60 Minuten vorher lustig sein sollen, statt es im dramatischen Finale zu tun?
Vielleicht sind aber auch all diese Dinge nur Fehler in der Matrix, in der sich augenscheinlich alle befinden müssen. Fast jede Szene, die in den Büroräumen des LKAs spielt, hat einen grau-bläulichen Stich, wie der Sci-Fi-Klassiker von 1999. In „Matrix“ war dieser Farbstich visueller Subtext – was es hier soll, habe ich noch nicht ganz verstanden. Was ich hingegen verstanden habe …
„Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“: Lohnt sich der „Tatort“ aus Berlin jetzt oder nicht?
Wer richtig Spaß mit dem Berliner Fall haben möchte, kann sich die ersten 60 Minuten vollends klemmen. Auch wenn es hier und dort nette Szenen gibt, ist das meiste bis zum Finale eher derselbe Käse wie eh und je.
Die letzte halbe Stunde bekommt hingegen eine uneingeschränkte Empfehlung. 30 Minuten Spaß sind keine schlechte Bilanz – gibt es doch genug Fälle beim „Tatort“, die in 90 Minuten nie Spaß bringen.