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Verschwörungstheorien: "Dass ein Typ Fledermaussuppe gegessen hat, ist zu einfach"

Der Journalist Christian Schiffer im Interview über Verschwörungstheorien in Zeiten von Corona.

Verschwörungstheorien: "Dass ein Typ Fledermaussuppe gegessen hat ist zu einfach"
Christian Schiffer ist einer der Autoren von "Angela Merkel ist Hitlers Tochter" Foto: Markus Konvalin/BR

Christian Schiffer schrieb zusammen mit Christian Alt das Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“, welches demnächst verfilmt werden soll. Darin geht es um die verschiedenen Verschwörungstheorien, die in Deutschland kursieren. TV Movie Online-Redakteur Matthias Holm sprach mit dem Journalisten über das Coronavirus, die Rolle von Bill Gates und Xavier Naidoo.

TV Movie Online: Woran liegt es, dass jetzt, zum Zeitpunkt der Maßnahmen gegen das Coronavirus, mehr Verschwörungstheorien ans Tageslicht kommen? Oder ist das nur die Wahrnehmung, da die Leute mehr zu Hause sind?

Christian Schiffer: "Es kann gut sein, dass es eine Rolle spielt, wenn die Leute mehr Zeit haben. Die verbringen sie dann auf YouTube und werden mit Theorien konfrontiert, die sie sonst nicht sehen würden. Ich glaube aber eher, es liegt einfach daran, dass die ganze Corona-Sache ein perfekter Sturm für Verschwörungsmythiker ist.

Da kommt ganz viel zusammen: Es geht um eine Krankheit, was in diesen Kreisen immer hoch im Kurs steht. Als Beispiel gäbe es Impf-Verschwörungen oder die Chemtrails, die sich ja auch auf die Gesundheit auswirken sollen. Dann kommt noch hinzu, dass man sich Corona nur sehr schwer vorstellen kann. Ein Virus, das von Tieren auf Menschen übergeht, ist einfach viel abstrakter als Bill Gates, der diese Plage über uns bringt, um mehr Geld zu verdienen."

Es ist wahrscheinlich leichter, einen direkten Schuldigen zu suchen als einfach zu sagen „Die Natur war's“

"Auf jeden Fall. Ich habe eine Liste von zehn Gründen, warum Corona der perfekte Sturm für Verschwörungstheorien ist, und da passt dieser Punkt auf jeden Fall rein. Dazu kommt, dass unser Gehirn ständig Geschichten schreibt und Leerstellen ausfüllen möchte. Die Evolution hat uns so geprägt, dass wir überall Muster sehen – und das hat uns als Menschen sehr geholfen. Das bedeutet aber auch, dass wir mit Unsicherheiten, Unklarheiten oder auch Zufällen viel schwieriger umzugehen wissen. Da ist es dann schon leichter anzunehmen, dass eine Gruppe, die Pharma-Lobby oder Bill Gates hinter dem Virus steckt.

Es gibt auch den sogenannten „Expectation Bias Canon“. Das heißt, dass man bei wichtigen Ereignissen, die uns bewegen, immer einen Grund haben möchte, der uns genauso wichtig vorkommt. Das beste Beispiel sind Lady Diana und Dodi. Anstatt einfach anzunehmen, dass ihr Fahrer zu viel getrunken hatte und sie auf der Flucht vor Paparazzi verunglückt sind, möchte man, dass nichts so Banales dahinter steckt, sondern die Queen oder der englische Geheimdienst. Das gleiche bei Corona: Dass ein Typ Fledermaussuppe gegessen hat und es so auf den Menschen übertragen wurde, ist für viele schlichtweg zu einfach."

Die anderen Gründe sind auch einfach die besseren Geschichten.

"Verschwörungen erzählen immer die bessere Geschichte. Wir wollen zu den großen Ereignissen eine gute Geschichte haben. Das spielt alles bei Corona mit rein. Viele Menschen fühlen sich einfach ausgeliefert: Du kannst deinen Job nicht mehr machen oder musst dein Restaurant schließen. Da kommt es schnell zu etwas, was Psychologen „Selbstwirksamkeitsstörung“ nennen: Alles hat sich gegen einen verschworen. Und dann ist es tröstlich, wenn man jemanden dafür verantwortlich machen kann.

Hinzu kommt, dass die meisten Verschwörungstheorien auch irgendwo immer einen wahren Kern haben. Das ist hier auch der Fall: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Bill Gates Corona zusammengepanscht hat, um noch reicher zu werden. Aber es ist ein Problem, dass seine Stiftung die WHO mitfinanziert, weil es die Länder nicht tun."

Aber ist nicht genau das gefährlich? Dass aus einem realen Kern die absurdesten Theorien gesponnen werden?

"Das Gefährliche ist glaube ich nicht die Existenz der Theorien. Dieses „Was wäre, wenn?“ ist ja immer spannend. Als ich ein Teenager war, habe ich immer nachgeschaut, wann wieder „Mystery Montag“ auf Pro7 war oder die nächste Folge „Akte X“ läuft. „Kann es sein, dass es Außerirdische wirklich gibt?“ hat etwas Spielerisches. Das ist nicht immer harmlos, in den 90ern hat Timothy McVeigh ein Regierungsgebäude gesprengt. Das führte zu über 160 Toten, viele davon Kinder. McVeigh glaubte an UFOs, was aber dazu führte, dass er sich sicher war: Die Regierung verheimlicht uns etwas!

Aber häufig ist eben dieses „Was wäre, wenn“ ja genau das: eine Theorie, ein Gedankenspiel. Man überlegt, was spricht dafür, was spricht dagegen? Vor allem aber hat so etwas nicht viel mit einem selbst zu tun. Das ist bei den modernen Verschwörungstheorien anders. Wegen Corona kann ich nicht mehr vor die Tür, Chemtrails vergiften mich persönlich, Impfen macht meine Kinder zu Autisten. Oder auch Reichsbürger, die gleich dem ganzen Staat die Legitimität absprechen. Es wird immer dann gefährlich, wenn diese Dinge zu nahe an uns heranrücken. Es ist auch so, dass die Theorien immer direkt eine Lösung präsentieren. Ich konnte nichts dagegen machen, wenn man in Area 51 an einem Alien herumexperimentiert.

Gegen Chemtrails kann ich mir aber für 4500 Euro eine Akasha-Säule kaufen oder blende die Piloten. Als Impfgläubiger schicke ich meine Kinder nicht mehr zum Impfen und die Masern kommen wieder. Als Reichsbürger rufst du deinen eigenen Staat aus, hortest Waffen und erschießt einen Polizisten, wie es 2016 in Georgensmünd passiert ist. So ist es bei Corona auch. Man ignoriert dann einfach die aufgestellten Regeln. Und das ist das Gefährliche: Es sind keine Geschichten, über die man mal nachdenken kann, sondern etwas extrem Nahes. Gegen das man selber etwas tun kann. Dies geschieht dann aber auf Kosten anderer Menschen."

Wie soll man dann aber mit denjenigen umgehen, die so fest an diese Theorien glauben? Und die meinen, dass zum Beispiel wissenschaftliche Fakten gefälscht wären?

"Ich glaube, es ist naiv anzunehmen, dass man diesen Menschen nur Fakten vorsetzen muss und dann ist das Thema erledigt. Es sind Ideologien, die sehr, sehr tief sitzen. Man kann es ein bisschen mit einer Religion vergleichen. Da kann man auch nicht einfach sagen „Gott existiert nicht“ und die sagen „Ach, wie interessant“. So einfach ist es nicht, da hängen auch viele Emotionen dran. Wie gesagt, unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, so etwas glauben zu wollen.

Man sollte erst gucken, wie tief die Leute schon in diesem Kaninchenbau stecken. Beim Xavier Naidoo sehe ich tatsächlich ziemlich schwarz. Aber ich hatte wegen Corona auch mit Leuten zu tun, die meinten, dass das alles nicht ganz zufällig ist. Mit denen konnte ich aber ganz normal und in Ruhe sprechen. Die kann man ruhig fragen, ob Bill Gates wirklich nichts anderes im Sinn hat, als sich statt 60 Milliarden sich 65 Milliarden Dollar auf das Konto zu schaufeln. Man kann immer probieren, Lücken in der Argumentation aufzumachen und ein paar Fragen zu stellen – das behaupten sie ja auch immer von sich, „ich stelle nur Fragen“.

Es gibt aber auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene Dinge, die man machen kann. Zum Beispiel früher und besser erklären, wie Wissenschaft funktioniert und wie wir uns Wissen aneignen – nämlich durch Nicht-Wissen."

Das führt dann ja zu solchen Situationen wie mit Herrn Drosten. Der geriet ins Kreuzfeuer, weil Leute nicht verstehen, wie Wissenschaft funktioniert.

"Ich glaube, es ist ein Defizit, dass an Schulen nicht gelehrt wird, wie Wissenschaft funktioniert. Dass man dadurch vorankommt, indem man Dinge widerlegt. „Wir scheitern uns empor“ ist da glaube ich ein Motto.

Auf der anderen Seite wäre es schon sinnvoll, dass man offener ist, wenn man etwas nicht genau weiß – das beste Beispiel war jetzt die Verwendung von Atemmasken. Mein Gott, vielleicht war die Kommunikation nicht glücklich und sollte zurückhaltender sein, wenn man sich unsicher ist. Das hat jetzt nicht die Verschwörungstheorien hervorsprießen lassen, aber das kann man auch daraus lernen."

Wie sollte die Presse denn mit den prominenteren Figuren wie Naidoo oder Hildmann umgehen? Verbreitet man deren Ansichten, aber mit den richtigen Gegenargumenten? Oder sollte man ihnen lieber keine Bühne bieten?

"Da bin ich mir unsicher. Wenn da Leute in erheblicher Zahl in Berlin oder Stuttgart demonstrieren gehen, ist das ein Berichtsgegenstand, mit dem man sich kritisch auseinandersetzen sollte. Ob es jetzt bei jedem Promi nötig ist – eher nicht. Sonja Zietlow zum Beispiel teilt einen Beitrag, der ein bisschen merkwürdig ist, und löscht ihren Facebook-Account. Das ist aber noch meilenweit weg von dem, was Atilla Hildmann auf seinen Telegram-Feed kippt. Das sollte kein großes Thema sein. Wir leben in einer Welt, in der man viel besser als früher weiß, wie Promis so ticken. Da erlebt man manchmal Enttäuschungen – oder auch Überraschungen. Es gibt einige aus dieser Gruppe, bei denen ich dachte, die wären dumm, aber eines Besseren belehrt wurde. Da sollte man ein bisschen gelassener sein.

Bei Atilla Hildmann ist es nochmal etwas anderes. Wenn sich so ein Typ mit einer Knarre abbilden lässt und sagt, er wäre bereit für den Widerstand, ist das einfach gefährlich und von öffentlichem Interesse. Wenn sich aber eine Moderatorin mal vertwittert, sollte man mehr Souveränität walten lassen.

Bei Xavier Naidoo geht es mir umgekehrt. Der hat schon länger Reichsbürger-Zeug geäußert. Das wurde dann aber immer verniedlicht. Eigentlich sollte er ja auch Deutschland beim ESC vertreten – wogegen manche von der ARD Protest eingelegt haben, weswegen daraus nichts wurde. Aber dass man alleine auf die Idee kommt ist so irre. Das führte so einer Riesen-Debatte, während der Naidoo in der taz. verteidigt wurde. Das ist vier oder fünf Jahre her und da hatte er schon vor Reichsbürgern gesprochen. Ich finde, da ist es noch etwas ganz anderes, wir reden hier von einer Demo und im ZDF-Mittagsmagazin behaupten, Deutschland hätte keinen Friedensvertrag. Darüber muss man dann natürlich auch berichten."

 
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