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Kino

"Deutschstunde": "Mir ist der Menschenschlag nah" | Interview

In "Deutschstunde" verfilmt "Bad Banks"-Regisseur Christian Schwochow den bewegenden Nachkriegsroman von Siegfried Lenz. Was er über den Autor, Pflichtbewusstsein, Netflix und den Empathieverlust in der Gesellschaft zu sagen hatte, lest ihr im Interview!

Deutschstunde Tobias Moretti Ulrich Noethen
"Deutschstunde": Christian Schwochow über Lenz, Netflix und den Empathieverfall Foto: WILD BUNCH GERMANY GmbH

2019 wurde "Bad Banks" als eine der wenigen deutschen Serien-Produktionen für einen internationalen Emmy nominiert. Den großen Erfolg hat die mitreißend inszenierte Mini-Serie, die u.a. auf Netflix zu sehen ist, natürlich auch Regisseur Christian Schwochow zu verdanken, der mit dem Format vor allem im Mediatheken-Bereich sowie nach der Aufnahme bei Netflix einen großen Erfolg verbuchen konnte. Beim weltgrößten Streaming-Anbieter durfte sich Christian Schwochow im gleichen Jahr auch noch mit einer anderen Prestige-Produktion auszeichnen: Als erster deutscher Regisseur inzsenierte er gleich zwei Folgen der 3. Staffel von „The Crown“.

Christian Schwochow Deutschstunde
"Deutschstunde"-Regisseur Christian Schwochow       Getty Images

Doch mit "Deutschstunde" brachte Schwochow 2019 ein absolutes Herzensprojekt in die Kinos. Obwohl der Regisseur auf Rügen geboren ist und mit dem "Norddeutschsein" durchaus viele Berührungspunkte hatte, begegnete ihm der Roman von Siegfried Lenz erst in seiner Zeit als Filmstudent. Warum ihn "Deutschstunde" so nachhaltig beeindruckte und warum die Idee der pervertierten Pflichterfüllung auch heute noch so brisant ist, verriet uns der Filmemacher im TV Movie Online-Interview:

TV Movie Online: Wo war dein Berührungspunkt mit Deutschstunde von Sigfried Lenz?

Christian Schwochow: Ich wusste nichts über die Deutschstunde. Ich bin nicht mit Lenz aufgewachsen. Er ist in meiner Schulzeit nicht einmal erwähnt worden. Ich habe das Buch gelesen als ich noch Filmstudent in Ludwigsburg war. Diese Sprach- und Bildgewalt fand ich irre. Es gibt Romane, die sprachlich und atmosphärisch ganz stark sind, in denen aber eine Geschichte fehlt, die einen so richtig fesselt. Doch hier hat alles gestimmt. Die Geschichte von Siggi, der zwischen zwei Vaterfiguren zerrieben und in einen moralischen Konflikt gebracht wird, hat mich sehr mitgenommen. Gleichzeitig hat mir das Buch Bilder über diktatorische Zustände geliefert, die ich so bisher noch nicht kannte.

Ich bin im Norden geboren. Mir ist dieser Menschenschlag nah. Diese Idee, dass Menschen, die sich nah sind Geheimnisse voreinander haben - das war mir sehr vertraut.

Die Kontraste im Film sind teilweise sehr extrem: Von der erdrückenden Enge des Elternhauses zu den Weiten der norddeutschen Dünen. War es dir wichtig diese Gegensätze auch filmisch zu akzentuieren?

Deutschstunde Landschaft
Eine Landschaft aus der es kein Entkommen gibt      WILD BUNCH GERMANY GmbH

CS: Lenz gibt in der Vorlage tatsächlich schon unheimlich viel vor. Bei ihm gibt es kein Radio, in dem Göbbels laut wird. Bei ihm werden die Möwen laut. Das war für mich wie eine Einladung eigene filmische Metaphern zu finden. Der Film hat sehr viele Metaphern – manche sehr deutlich, manche sehr versteckt. Bei der Wahl der Landschaft haben wir uns etwas entfernt von der Vorlage und etwas gesucht, dass eine gewisse Qualität mitbringt. Fast so, als würde der Film am Ende der Welt spielen. Die Bewohner sehen zwar oft den blauen Himmel und mit ihm ein Stück Freiheit, aber die Natur ist gleichzeitig auch wie ein eigenständiges Wesen, das alle gefangen hält.

Ich hatte als Referenz immer die Ikarus-Sage in der griechischen Mythologie im Kopf: Dort geht es ja auch um einen Jungen, der mit seinem Vater in einem Labyrinth feststeckt. Dann bauen sie sich Flügel, aber Ikarus fliegt so nah an die Sonne, dass das Wachs schmilzt und er deshalb ins Meer stürzt. Eine ähnliche Assoziation hatte ich bei Siggi.

Ist diese Idee von der beinahe blinden Pflichterfüllung eigentlich etwas sehr Deutsches?

CS: Ich glaube schon. An Pflichtbewusstsein, das ja immer als sehr deutsch wahrgenommen wird, ist an sich überhaupt nichts verwerflich. Wenn das allerdings so pervertiert, dass man die eigenen Vorstellungen von Moral, Freundschaft und Empathie verliert, dann bekommt die Pflichterfüllung alptraumhafte Züge. Ich glaube allerdings nicht, dass das grundsätzlich etwas Deutsches ist. Auf der ganzen Welt herrscht aktuell eine Sehnsucht nach Diktatoren. Die Menschen wählen Diktatoren oder Personen, die sehr totalitäre Vorstellungen von unserem Leben und unserer Welt haben. Und die teilweise Denkverbote aussprechen oder mit Ausgrenzungen arbeiten und diese vorleben. Und das ist eine sehr unheimliche Entwicklung. Das ist ein globales Problem.

Was muss in einem Menschen wie Jepsen passieren, dass diese Idee einer abstrakten Form von Pflichterfüllung vor allem anderen steht – sogar vor dem Wohl der eigenen Familie?

CS: Das Verrückte ist: Jepsen glaubt tatsächlich, dass er das Richtige tut. Er liebt seine Familie. Doch Systeme wie der Faschismus dringen einfach so tief hinein, dass bestimmte Fragen gar keine Fragen sind. Wenn ich mich mit dem Dritten Reich beschäftige, habe ich das Gefühl, dass den Juden gegenüber eine komplette Empathielosigkeit vorherrschte. In dem Moment, in dem dir beigebracht wird, dass es Menschen zweiter Klasse sind, setzt irgendetwas in uns aus, das für das Mitgefühl verantwortlich ist.

Levi Eisenblätter, Ulrich Noethen Deutschstunde
Siggi (Levi Eisenblätter) und sein Vater (Ulrich Noethen)       WILD BUNCH GERMANY GmbH

Das passiert auch im Moment. Ich habe das Gefühl, dass das Wort Flüchtling so missbraucht wurde, dass es mittlerweile auch eine Empathielosigkeit in der Mitte der Gesellschaft auslöst – und nicht nur am rechten Rand. Dass dieses Elend und die Kriegszustände in den Heimatländern dieser Menschen fast niemanden mehr berühren, ist einfach erschreckend. Man redet allgemein über Flüchtlinge und es erinnert daran, wie man einstmals über Juden gesprochen hat. Es muss einfach nur immer wiederholt werden! Genau so haben die Faschisten früher gearbeitet und so arbeiten heute die Populisten. Diese Empathieverfall, den man in der Gesellschaft aktuell beobachten kann, macht mir enorme Sorgen.

Bist du eigentlich immer noch nervös, wenn deine Filme vor einem großen Publikum zum ersten Mal gezeigt werden?

CS: Ein großer Saal, der voll ist, ist immer eine Herausforderung. Da ist es fast egal ob es am Ende 700 oder 2.000 Plätze sind. Du stehst immer vor einer gigantischen Wand und das Publikum ist so groß, dass du niemandem ins Gesicht schauen kannst. Wenn so ein großes Publikum gelangweilt ist und anfängt zu rascheln, ist der Effekt natürlich viel krasser, als in einem kleinen Saal. Das macht mich richtig nervös.

Man arbeitet vier Jahre an so einem Film. Und dann hat er eine oder zwei Wochen, in denen man die ganzen Interviews gibt und über den Film spricht. Man sieht die Plakate in der Stadt, verschlingt die Fernsehbeiträge und liest die Kritiken. Und dann ist am ersten Tag schon klar, ob der Film laufen wird oder nicht – und das ist echt brutal. Im Fernsehen ist das teilweise extremer, weil es oft nur eine Ausstrahlung gibt. Und entweder reden am nächsten Tag viele über deinen Film oder niemand. Es ist schwer sich davor zu schützen. Diese Angst ist immer da.

Viele Filmschaffende preisen Netflix genau dagegen als „Allheilmittel“, weil es zumindest keine Quote gibt, die erfüllt werden muss und der Druck auf die Filmemacher deshalb nicht so groß ist. Du hast selbst jetzt an der 3. Staffel von „The Crown“ mitgewirkt. Kannst du das bestätigen?

CS: Auf "The Crown" liegt ein riesiger Druck. Es ist eine der größten und aufwendigsten Netflix-Shows weltweit. Da wird schon sehr genau geschaut, wie viele Menschen das schauen. Netflix gibt offiziell keine Zahlen bekannt. Aber natürlich wissen sie ganz genau, wie viele Zuschauer ihre Serien haben. Auch Netflix führt Projekt nur fort, wenn sie einen gewissen Erfolg aufweisen können. Dieser Erfolg lässt sich in Zahlen ausdrücken.

Es ist aber sehr gut, dass verstärkt über Qualität gesprochen wird, weil diese Zahlen nicht öffentlich sind. Wenn man zu der Qualität steht, die man geschaffen hat, wenn man also wirklich glaubt, dass man etwas Gutes gemacht hat, dann kann man sich auch ein stückweit vom Druck befreien. Bei "Bad Banks" war ich selbst schon so weit weg von diesem Quotengedanken, dass es mir fast ein bisschen egal war, dass es im ZDF weniger Menschen geschaut haben, als man es sich erhofft hat. Einfach, weil ich selbst schon ein Mediatheken-Zuschauer geworden bin. Und das hat sich letztendlich dann so bewahrheitet und die Serie war letztendlich dann der prognostizierte Quotenerfolg.

Bei Kino ist es einfach brutaler. Ich habe ja auch schon zwei Filme gemacht, die weniger als 30.000 Zuschauer in Deutschland hatten. Und wenn du da dein Herzblut reinsteckst und dich komplett zerreißt für den Film und dir bewusst wird, dass dein Film gar keine Chance hat gesehen zu werden, weil die Leute ihn nicht direkt auswählen, dann ist das schon brutal.

Deutschstunde kam am 03. Oktober 2019 in die deutschen Kinos. Am 11. Oktober wird der Film im ZDF ausgesttahlt und ist der TV Movie - Tagestipp. Den Trailer dazu seht ihr hier:

 

Interview & Text: David Rams

 



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